Donnerstag, 15. Januar 2009

Die Schwitzhütte

Endlich war die Schwitzhütte fertig. Einen ganzen Tag hatte ich daran gearbeitet. Nun setzte ich mich erschöpft ins Gras und betrachtete mein Werk. Die Hütte bestand aus einem kuppelförmigen Gerüst aus dicken, gebogenen Haselnussstöcken, die ich in der festgestampften, lehmigen Erde verankert hatte. Zwischen die Gerüststangen hatte ich frisch geschnittene Weidenruten eingeflochten und diese dann mit den riesigen Blättern des Pestwurz abgedeckt, so dass die Schwitzhütte nun ausreichend dicht war. In der Mitte der Hütte hatte ich noch eine kleine Grube gegraben und die Erde darin ebenfalls mit einem Holzklotz festgestampft.

Inzwischen war es dunkel geworden. Der Mond stand groß und hell am Himmel und übergoss das Land mit seinem kühlen Licht. Ich freute mich, dass ich die Schwitzhütte bis zur heutigen Vollmondnacht noch fertig bekommen hatte. Ich liebe die Vollmondnächte, denn sie verschieben die Grenzen der Welten.

Mittlerweile hatte ich ein Feuer entzündet und warf ein paar große Granitsteine aus dem nahen Fluss hinein. Als die Steine nach mehreren Stunden glühten, rollte ich sie mit Hilfe eines gegabelten Stocks in die Schwitzhütte und schob sie in die Grube in der Mitte der Hütte. Dann zog ich mich aus und legte mich nackt auf den Boden. Die gestampfte Erde war feucht und kühl, doch nach einer Weile verbreiteten die heißen Steine eine angenehme Wärme. Ich lag am Boden, fühlte die Frische der Erde, spürte die Hitze der Steine und blickte hinauf zum Mond, der groß und rund durch das Loch, dass ich in der Mitte der Kuppel der Schwitzhütte ausgespart hatte, herein sah. Es war ein wunderbares Gefühl und ich war glücklich. 

Nachdem ich dem Mond eine Weile ins Auge geblickt hatte, setzte ich mich auf und streute eine Handvoll getrocknete Kräuter über die heißen Steine. Ein angenehm würziger Duft breitete sich aus. Dann goss ich eine Schale Wasser darüber. Eine dicke Dampffontäne stieg auf, walzte mit stechender Hitze über mich hinweg und raubte mir dabei fast den Atem. Die Steine knackten und der Mond verschwand hinter der Dampfwolke, als wäre er vom Himmel verschlungen worden. Durch die Hitze musste ich die Augen wohl geschlossen haben und als ich sie öffnete, war der Mond wieder da. Es war derselbe Mond und er streute sein Licht genauso kühl und hell vom Himmel, doch ich war mir nicht mehr sicher, ob ich mich noch dort befand, wo ich vor dem Aufguss gewesen war: in meiner Schwitzhütte. Der Geruch der verbrannten Kräuter hing noch immer in der Luft, doch alles andere um mich her schien vollkommen verändert. Meine Schwitzhütte war einem aus großen, schwarzen Steinquadern gemauerten Raum gewichen, dessen Decke zu einem steinernen Gewölbe zusammen lief. Am höchsten Punkt der Kuppel befand sich ein großes Loch, durch das der Mond herein schien. An zwei Seiten des Raumes befanden sich gemauerte Liegen. Ich saß auf einer davon. Und ich war noch immer nackt. Die Luft im Raum war angenehm warm und auch die Wände und die Gewölbedecke strahlten eine wohlige Wärme ab. Verwundert sah ich mich um. Der Raum war ziemlich groß, viel größer als meine Schwitzhütte, doch bis auf die steinernen Liegen und eine seltsam anmutende Apparatur, die sich auf einem großen, gemauerten Quader in der Mitte des Raumes befand und deren Sinn sich mir nicht erschloss, vollkommen leer. In die eine Hälfte des Quaders war ein kupferner Kessel eingelassen, der mit Wasser gefüllt war. Aus der Mitte der Apparatur ragte eine massive, schmiedeeiserne Stange, an deren Oberseite ein metallener Arm befestigt war, der auf der anderen Seite des Steinquaders in einem Deckel aus rostigem Eisenblech verschwand. Die seltsame Apparatur wirkte in keiner Weise vertrauenerweckend und mich überkam das unbestimmte Gefühl, mich in einer mittelalterlichen Folterkammer zu befinden. Andererseits waren nirgendwo Folterinstrumente zu sehen und die Apparatur konnte alles Mögliche sein.

Da der Raum keine Türe und somit keinen Ausgang besaß, legte ich mich auf eine der beiden steinernen Liegen und versuchte nachzudenken. Doch es dauerte nicht lange, bis meine Gedanken irgendwohin verschwanden, wohin ich ihnen nicht folgen konnte oder wollte. Ich genoss die angenehme Wärme und wunderte mich nicht einmal, dass ich überhaupt keine Furcht vor meiner merkwürdigen Situation empfand. Ich lag nur da und starrte durch die warme, feuchte Luft hinauf zum Gewölbe und von dort durch das runde Loch auf den Mond, der immer noch voll am Himmel stand und durch die Öffnung hindurch zu mir zurück starrte. Ich überlegte mir noch, wer von uns beiden dem Blick des anderen länger stand halten würde, als mich ein schreckliches, metallisches Kreischen aus meinen Gedanken riss, die nun doch wieder da zu sein schienen. Erschrocken fuhr ich hoch und sah, wie sich der eiserne Arm der seltsamen Apparatur in Bewegung gesetzt hatte. Unter ständigem Quietschen und Ächzen wurde er nach oben gehoben, nahm den rostigen Blechdeckel mit, unter welchem ein geschmiedeter Korb aus dicken Eisenstäben zum Vorschein kam. Der Korb war mit Granitsteinen gefüllt und wurde von der Apparatur langsam aus dem Quader herausgehoben. Rauch folgte ihm und ich erkannte, dass in dem Quader ein Feuer gelodert hatte, dessen Hitze die Steine zum Glühen brachte. Inzwischen stand der eiserne Arm fast senkrecht, doch der Korb war beweglich angebracht, so dass er die Bewegung des Armes mit machte, ohne seine Lage zu verändern. Der Arm schwang über die Mitte hinaus und nun senkte sich der Korb mit den heißen Steinen auf der anderen Seite der Eisenstange wieder hinab und wanderte langsam dem kupfernen Kessel entgegen, in dem er mit lautem Zischen und Fauchen unter der Wasseroberfläche verschwand. Siedend heißer Dampf raste aus dem Kessel, schoss durch den Raum und hüllte alles in wenigen Augenblicken in einen dichten, heißen Nebel. In einem jähen Reflex schloss ich die Augen und schon spürte ich den schmerzhaft heißen Dampf über meine Haut jagen und ich hörte, wie ein lauter Schrei meiner Kehle entrann ...


... ein Schmerzensschrei drang durch meine Ohren in mein Gehirn, doch ich wusste nicht, woher er kam. Ich spürte, wie ich am ganzen Körper zitterte und fand lange nicht den Mut, meine Augen zu öffnen, um nach zu sehen, was geschehen war. Doch je länger ich zögerte, um so mehr wurde mir bewusst, dass ich von einer lautlosen Stille umgeben war. Gab es das überhaupt? Eine lautlose Stille? Jedenfalls konnte ich von dem Schrei nichts mehr hören und ich war mir plötzlich auch überhaupt nicht mehr sicher, ob es ihn jemals gegeben hatte. Vorsichtig öffnete ich die Lider und ließ die Bilder, die durch meine Augen herein fielen, auf mich wirken. Ich befand mich wieder in meiner Schwitzhütte und durch das Loch in der Kuppel blickte der Mond herein. Es war immer noch Vollmond und vielleicht war die Zeit überhaupt nicht vergangen. Oder doch? Jedenfalls spürte ich, wie die Nacht kühl durch die Ritzen zwischen den Weidenruten herein drang.

Copyright 2008 Numungo

Sommernachmittag

Der Sommer drängte sich heiß und grell durch das staubige Geäst, unter dem ich lag und döste und welches schützend einen dünnen Schatten über mich hielt. Es war heiß, sehr heiß, doch unter dem Baum konnte ich es gerade noch aushalten. Und auch die Fliegen hielten es aus. Fleißig überkrabbelten sie meinen halbnackten, von Brombeerhecken zerkratzten, baumüberschatteten Körper und verharrten dann und wann in einem dünnen Film aus frischem, warmem Schweiß. Aber sie leckten ihn nicht, trippelten lieber weiter, um immer wieder mit ihren kleinen Rüsseln in meinen leise blutenden Wunden zu wühlen, zu saugen, zu schlecken, es war eine wahre Pracht. Bald begannen meine Wunden zu jucken und zu brennen. Ein leise zitternder Schmerz machte sich bemerkbar und ich begann zu kratzen. Die Wunden wurden tiefer und größer und die Fliegen wurden mehr und mehr. Bald waren es so viele, dass ich sie nicht mehr zählen konnte. Es juckte stärker. Ich kratzte weiter. Die Zahl der Fliegen nahm immer weiter zu. Bald sah ich meinen Körper unter der dichten, schwarzen Fliegendecke nicht mehr. Das Verscheuchen der Fliegen hatte ich inzwischen aufgegeben, lange schon. Ich sah dem Gewimmel nur noch zu und bald interessierte es mich nicht mehr. Irgendwann schlief ich dann ein.

Als ich wieder erwachte, lag ich nicht mehr unter dem Baum. Nur die Sonne gleiste noch. Und eine einsame Fliege schwirrte brummend um meinen Kopf. Nachdem sich meine Augen an das helle Licht gewöhnt hatten, sah ich auf die Uhr. Es war fast schon Mittag. Ich musste wohl verschlafen haben. 

Copyright 1985 Numungo

Sonntag, 11. Januar 2009

Kopfbilder

Wer es wagt, in den Köpfen seiner Leser Bilder zu erzeugen, muss auch den Mut haben, sich selbst diesen Bildern zu stellen.

Copyright 2008 Numungo

Wüste

Die Wüste ist leer und doch voller Sand!

Copyright 2009 Numungo

Vom Tun

Es gibt so vieles, das getan werden sollte, und dennoch - oder gerade deswegen - weiß der Mensch oft nicht, wo er anfangen soll und tut - nichts!

Copyright 2008 Numungo

Leben leben

Jedes deiner Leben gibt dir die Chance, es besser zu leben, als das vorige. Die Schwierigkeit ist jedoch herauszufinden, wie du das vorangegangene Leben gelebt hast.

Copyright 2008 Numungo

Sinnsuche

Viele Menschen suchen ihre Wurzeln in fremden Kulturen und wenn sie merken, das sie sie nicht finden, suchen sie in der nächsten Kultur weiter.

Copyright 2008 Numungo

Samstag, 10. Januar 2009

Glück

Das Glück erfüllt mein Herz
wie Wasser eine Badewanne

Hoffentlich zieht niemand
den Stöpsel

Copyright 1984 Numungo

Für Dich

Ich wollte ein Gedicht
für Dich schreiben
und saß stundenlang 
vor einem leeren Blatt Papier,
denn in meinen Gedanken
war ich immer bei Dir
statt bei dem Gedicht
auf dem Papier.

Copyright 1985 Numungo

Klara

Zwitschernd begrüßten die Vögel den warmen Frühlingstag. Die grünen Wiesen waren mit unzähligen, in allen Farben blühenden Blumen übersät und auch die Bäume hatten ihr Frühjahrskleid wieder angelegt. Die Sonne schob sich über den wolkenlosen Himmel und tauchte das Land in ein helles, angenehmes Licht. Ihre wärmenden Strahlen tauchten in jeden Winkel und krochen auch durch das weit geöffnete Fenster in Klaras Zimmer. Sie leuchteten das ganze Zimmer aus und dennoch wollte die dort wie zäher Honig stehende Dunkelheit nicht weichen.

Klara lag im Bett und schlief. Ihr Gesicht war bleich und hatte einen wächsernen Glanz. Um die Augen standen breite, blaue Ränder und die schmalen, blutleeren Lippen waren fest zusammen gepresst. Ihre Kopfhaut leuchtete im grellen Sonnenlicht schneeweiß, genau dort, wo sonst die Haare sind. Alles war weiß, Klara, das Bett, das ganze Zimmer. Totenweiß.

Klaras Mutter saß auf einem Stuhl neben dem Bett und blickte mit leeren Augen auf Klara. Lange schon saß sie so, vielleicht die ganze Nacht. Sie bewachte Klaras Schlaf. Seit Wochen schon wachte sie Nacht für Nacht an Klaras Bett und versuchte verzweifelt die Dunkelheit zu verscheuchen. Doch es wollte ihr nicht gelingen. Niemanden wollte das gelingen. Als sie die Sonne vor dem Fenster erblickte, rannen lautlose Tränen über ihre Wangen und tropften auf ihre schlanken, im Schoss gefalteten Hände.

Die Tür wurde leise geöffnet und ein Mann trat ins Zimmer. Er küsste Klara auf die kalte Stirn und gab auch der Mutter einen Kuss.

"Du hast geweint", sagte er. Es war keine Frage.

"Komm", flüsterte er ihr zu, nachdem er eine Weile neben ihr gestanden und ihre Hand gehalten hatte, "leg dich ein wenig schlafen. Nun werde ich bei Klara bleiben."

Die Mutter stand auf und drückte schweigend seine Hand. Dann verließ sie das Zimmer und Klaras Vater übernahm ihren Platz auf dem Stuhl. Dieses Ritual führten sie jeden Tag durch, wenn er von der Nachtschicht zurück kam. Auch an den Wochenenden.

Seit wie vielen Wochen machen wir das nun schon, fragte sich der Vater, während er sein Gesicht in den auf den Knien aufgestützten Händen vergrub. Er wusste es nicht, denn er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Seit Klara hier lag, gab es für ihn nur noch arbeiten und wachen und arbeiten und wachen und ... Wie lange er das noch durchhalten würde, daran wollte er überhaupt nicht denken. Er konnte an gar nichts mehr denken. Und er wollte auch nicht mehr denken. Er fühlte sich bereits genauso weiß, wie die Wände und das Bett und ... Nein, er wollte auch nicht daran denken, wie er sich fühlte.

Während er neben Klara saß und daran dachte, dass er nicht mehr denken wollte, wurde das Weiß des Zimmers noch weißer und begann vor seinen Augen zu verschwimmen. Das Weiß der Wände floss auf den Fussboden und vermischte sich mit dessen Weiß - war der Fussboden vorhin auch schon weiß gewesen? -, das Weiß der Decke tropfte herunter und färbte die Luft, die er atmete weiß, alles um ihn her war weiß, wurde immer noch weißer und weißer und er spürte, wie das viele Weiß an ihm nagte und ihn zu zerfressen drohte, es drang in seinen Mund, in seine Nase und in seine Ohren ein und er fühlte, dass seine Lunge schon vollkommen weiß war, alles war so unendlich weiß, sogar sein Blut und seine Haut, seine Haut sowieso, sie war so weiß wie das Zimmer oder noch weißer, er konnte sich in all dem Weiß um ihn her überhaupt nicht mehr erkennen, er konnte sich nicht mehr sehen, er verlor jegliches Gefühl, das Weiß drehte sich oder drehte er sich? - drehte sich alles? - was war los mit ihm? - war er noch da? - wo war er? - wo war er ? - wo ...? Und in all dem Weiß wurde ihm bewusst, dass es nicht weiß war, was er sah, sondern absolute, vollkommene Dunkelheit, die ihn umschloss und würgte und nicht mehr los lassen wollte.

Die Sonne stieg nun höher, doch sie wandte ihren Blick nicht von Klaras Fenster. Draußen im Garten versammelten sich unzählige Vögel im Apfelbaum und trällerten ihre Lieder. Besonders schön sang eine Amsel, die ganz oben auf der Spitze des Baumes saß, doch ihr Lied durchdrang die weiße Dunkelheit des Vaters, die nun ganz schwarz war, nicht.

In diesem Moment begannen Klaras Augenlider zu zucken, um sich kurz darauf blinzelnd zu öffnen. Fragend sah sie ihrem Vater an, um dann ihren Blick dem geöffneten Fenster zuzuwenden.

Klaras Vater war sich nicht sicher, ob er richtig gesehen hatte. Hatte Klara tatsächlich geblinzelt? Hatte sie tatsächlich ihre Augen geöffnet? Oder hatte er sich in seinem Schmerz das alles nur eingebildet? Doch es gab keinen Zweifel: Klara hatte die Augen geöffnet und ein schwaches Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie war aus dem Koma erwacht, doch er wusste nicht, ob sie ihn erkannt hatte.

Klara lauschte dem Lied der Amsel. Und als diese ihr Lied beendet hatte, hüpfte sie auf einen anderen Zweig und flog davon. Das Lächeln in Klaras Gesicht wurde deutlicher. Und mit diesem Lächeln löste sich auch die alles erdrückende Dunkelheit im Zimmer auf. Das Weiß verschwand und die Farben kehrten zurück. Und mit den Farben auch die Freude.

Copyright 2008 Numungo

Seltsame Geschichten aus einer seltsamen Welt

Herzlich willkommen in Numungos Multiversum. Hier präsentiere ich Euch Geschichten aus dieser und aus anderen Welten. Alles kann passieren, von real bis surreal. Wie real die Geschichten im Einzelnen für Euch sind, liegt nicht an mir, sondern an Euch. Viel Spaß beim Weltenbummeln! Über eine Rückmeldung Eurer Erfahrungen/Empfindungen beim Lesen freue ich mich!

Numungo

PS: Alle hier eingestellten Texte sind urheberrechtlich geschützt. Eine Vervielfältigung, Verbreitung, Ausstellung, Wiedergabe (auch auszugsweise) oder die Bearbeitung ist daher nur mit meiner ausdrücklichen Zustimmung erlaubt.