Inzwischen war es dunkel geworden. Der Mond stand groß und hell am Himmel und übergoss das Land mit seinem kühlen Licht. Ich freute mich, dass ich die Schwitzhütte bis zur heutigen Vollmondnacht noch fertig bekommen hatte. Ich liebe die Vollmondnächte, denn sie verschieben die Grenzen der Welten.
Mittlerweile hatte ich ein Feuer entzündet und warf ein paar große Granitsteine aus dem nahen Fluss hinein. Als die Steine nach mehreren Stunden glühten, rollte ich sie mit Hilfe eines gegabelten Stocks in die Schwitzhütte und schob sie in die Grube in der Mitte der Hütte. Dann zog ich mich aus und legte mich nackt auf den Boden. Die gestampfte Erde war feucht und kühl, doch nach einer Weile verbreiteten die heißen Steine eine angenehme Wärme. Ich lag am Boden, fühlte die Frische der Erde, spürte die Hitze der Steine und blickte hinauf zum Mond, der groß und rund durch das Loch, dass ich in der Mitte der Kuppel der Schwitzhütte ausgespart hatte, herein sah. Es war ein wunderbares Gefühl und ich war glücklich.
Nachdem ich dem Mond eine Weile ins Auge geblickt hatte, setzte ich mich auf und streute eine Handvoll getrocknete Kräuter über die heißen Steine. Ein angenehm würziger Duft breitete sich aus. Dann goss ich eine Schale Wasser darüber. Eine dicke Dampffontäne stieg auf, walzte mit stechender Hitze über mich hinweg und raubte mir dabei fast den Atem. Die Steine knackten und der Mond verschwand hinter der Dampfwolke, als wäre er vom Himmel verschlungen worden. Durch die Hitze musste ich die Augen wohl geschlossen haben und als ich sie öffnete, war der Mond wieder da. Es war derselbe Mond und er streute sein Licht genauso kühl und hell vom Himmel, doch ich war mir nicht mehr sicher, ob ich mich noch dort befand, wo ich vor dem Aufguss gewesen war: in meiner Schwitzhütte. Der Geruch der verbrannten Kräuter hing noch immer in der Luft, doch alles andere um mich her schien vollkommen verändert. Meine Schwitzhütte war einem aus großen, schwarzen Steinquadern gemauerten Raum gewichen, dessen Decke zu einem steinernen Gewölbe zusammen lief. Am höchsten Punkt der Kuppel befand sich ein großes Loch, durch das der Mond herein schien. An zwei Seiten des Raumes befanden sich gemauerte Liegen. Ich saß auf einer davon. Und ich war noch immer nackt. Die Luft im Raum war angenehm warm und auch die Wände und die Gewölbedecke strahlten eine wohlige Wärme ab. Verwundert sah ich mich um. Der Raum war ziemlich groß, viel größer als meine Schwitzhütte, doch bis auf die steinernen Liegen und eine seltsam anmutende Apparatur, die sich auf einem großen, gemauerten Quader in der Mitte des Raumes befand und deren Sinn sich mir nicht erschloss, vollkommen leer. In die eine Hälfte des Quaders war ein kupferner Kessel eingelassen, der mit Wasser gefüllt war. Aus der Mitte der Apparatur ragte eine massive, schmiedeeiserne Stange, an deren Oberseite ein metallener Arm befestigt war, der auf der anderen Seite des Steinquaders in einem Deckel aus rostigem Eisenblech verschwand. Die seltsame Apparatur wirkte in keiner Weise vertrauenerweckend und mich überkam das unbestimmte Gefühl, mich in einer mittelalterlichen Folterkammer zu befinden. Andererseits waren nirgendwo Folterinstrumente zu sehen und die Apparatur konnte alles Mögliche sein.
Da der Raum keine Türe und somit keinen Ausgang besaß, legte ich mich auf eine der beiden steinernen Liegen und versuchte nachzudenken. Doch es dauerte nicht lange, bis meine Gedanken irgendwohin verschwanden, wohin ich ihnen nicht folgen konnte oder wollte. Ich genoss die angenehme Wärme und wunderte mich nicht einmal, dass ich überhaupt keine Furcht vor meiner merkwürdigen Situation empfand. Ich lag nur da und starrte durch die warme, feuchte Luft hinauf zum Gewölbe und von dort durch das runde Loch auf den Mond, der immer noch voll am Himmel stand und durch die Öffnung hindurch zu mir zurück starrte. Ich überlegte mir noch, wer von uns beiden dem Blick des anderen länger stand halten würde, als mich ein schreckliches, metallisches Kreischen aus meinen Gedanken riss, die nun doch wieder da zu sein schienen. Erschrocken fuhr ich hoch und sah, wie sich der eiserne Arm der seltsamen Apparatur in Bewegung gesetzt hatte. Unter ständigem Quietschen und Ächzen wurde er nach oben gehoben, nahm den rostigen Blechdeckel mit, unter welchem ein geschmiedeter Korb aus dicken Eisenstäben zum Vorschein kam. Der Korb war mit Granitsteinen gefüllt und wurde von der Apparatur langsam aus dem Quader herausgehoben. Rauch folgte ihm und ich erkannte, dass in dem Quader ein Feuer gelodert hatte, dessen Hitze die Steine zum Glühen brachte. Inzwischen stand der eiserne Arm fast senkrecht, doch der Korb war beweglich angebracht, so dass er die Bewegung des Armes mit machte, ohne seine Lage zu verändern. Der Arm schwang über die Mitte hinaus und nun senkte sich der Korb mit den heißen Steinen auf der anderen Seite der Eisenstange wieder hinab und wanderte langsam dem kupfernen Kessel entgegen, in dem er mit lautem Zischen und Fauchen unter der Wasseroberfläche verschwand. Siedend heißer Dampf raste aus dem Kessel, schoss durch den Raum und hüllte alles in wenigen Augenblicken in einen dichten, heißen Nebel. In einem jähen Reflex schloss ich die Augen und schon spürte ich den schmerzhaft heißen Dampf über meine Haut jagen und ich hörte, wie ein lauter Schrei meiner Kehle entrann ...
... ein Schmerzensschrei drang durch meine Ohren in mein Gehirn, doch ich wusste nicht, woher er kam. Ich spürte, wie ich am ganzen Körper zitterte und fand lange nicht den Mut, meine Augen zu öffnen, um nach zu sehen, was geschehen war. Doch je länger ich zögerte, um so mehr wurde mir bewusst, dass ich von einer lautlosen Stille umgeben war. Gab es das überhaupt? Eine lautlose Stille? Jedenfalls konnte ich von dem Schrei nichts mehr hören und ich war mir plötzlich auch überhaupt nicht mehr sicher, ob es ihn jemals gegeben hatte. Vorsichtig öffnete ich die Lider und ließ die Bilder, die durch meine Augen herein fielen, auf mich wirken. Ich befand mich wieder in meiner Schwitzhütte und durch das Loch in der Kuppel blickte der Mond herein. Es war immer noch Vollmond und vielleicht war die Zeit überhaupt nicht vergangen. Oder doch? Jedenfalls spürte ich, wie die Nacht kühl durch die Ritzen zwischen den Weidenruten herein drang.
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